Dachtragwerke

Dachtragwerke

Einführung

Dächer sind ein ebenso sensibler wie entscheidender Bereich bezüglich dauerhafter Sanierungen. Schadensrisiken wie Durchfeuchtungen von Decken und Wänden, die Zerstörung von Holzbauteilen oder die Korrosion von Stahlbauteilen können durch die Funktion des Daches, also insbesondere durch deren Standsicherheit und Dichtigkeit gewährleistet werden. Bis Ende des 19.Jhd. sind alle Baukonstruktionen wie auch die Dachwerke ohne statische Nachweise erstellt und errichtet worden. Diese Dachwerke beruhen ausschließlich auf Erfahrungswerten des Zimmerhandwerkes sowie des beauftragten Baumeisters. Diese Handwerker genießen heute noch unsere Anerkennung und Bewunderung. Und deshalb sollten die überlieferten Konstruktionen erhalten und wenn nötig wo erforderlich saniert und nach bestem Wissen ertüchtigt werden.

Grundtypen der Dachtragwerke / historisch kurzer Überblick

Dachwerke gehen auf zwei Urformen zurück. Das Sparrendach (Nomadenzelt) und das Pfettendach (schräge Balkenlage). Beide Konstruktionsweisen haben sich im Laufe der Jahrhunderte sowohl unabhängig voneinander als auch gegenseitig beeinflussend entwickelt. Es entstanden Mischsysteme, die zu unterschiedlichen Bezeichnungen und Systemen führten. Das Sparren-dach wirkt statisch als Dreigelenkrahmen. Jedes Gebinde besteht aus zwei Sparren, die Biegung und Normalkraft aufnehmen, sich gegenseitig stützen, und dem unteren Gebindebalken, der die entstehenden Zugkräfte aus den Sparren aufnimmt, und als Zugband wirkt. Zur Verminderung der freien Spannweite werden die Sparren durch schräge Streben auf den Binder-balken abgestützt. Dieses um etwa 1100 entstandene Dachwerk der Romantik hatte Dachneigungen unter 45°. Das gotische Dachwerk ( um ca. 1200 ) ist wesentlich steiler, etwa 60°. Die Sparren stützen sich gegenseitig durch einen oder mehrere Kehlbalken. Der Horizontalschub wird entweder in jedem Gespärre durch den Gebindebalken oder für mehrere Gebinde durch einen Ankerbalken aufgenommen. Eine Vielzahl von Kehlbalkendächern entstand durch das Einfügen von Streben, deren Konstruktionsprinzip in der direkten Verbindung des Sparrens mit dem Kehlbalken besteht. Nördlich der Alpen bildet das Kehlbalkendach bis etwa 1800 die Grundform der meisten Dachwerke. Beim Pfettendach liegen die Sparren auf den Pfetten auf. Sie wirken als schrägliegende Balken und nehmen die Dachlasten über Biegung auf. Die Aussteifung des Dachwerkes übernimmt der Dachstuhl der durch die Pfetten miteinander verbunden ist.

Diese Grundformen sind relativ überschaubar und auch leicht voneinander zu unterscheiden. Die Vermischung beider Systeme beginnt etwa um 1400. Wurde bis dahin der Bau großer Dachwerke ausschließlich durch den Kirchenbau veranlasst, kommen jetzt größere Bau werke infolge des aufblühenden Handels als weitere Bauaufgabe hinzu. Da die bis dahin bekannten Kehlbalken keine größeren Nutzlasten aufnehmen können, liegt es nahe diese durch einen zusätzlichen Längsunterzug (Rähm) zu stabilisieren, der bei jedem 4. oder 5.Gespärre durch einen zusätzlichen Pfosten (Stiel) unterstützt und durch Kopfbänder ausgesteift wurde. Der stehende Stuhl war geboren. Er wurde nicht nur bei Speicherbauten sondern auch bei Sakral- und Wohngebäuden angewandt.

Eine weitere Entwicklungsstufe der Dachwerke ist der liegende Stuhl, in dem die Stiele im Fußpunkt nach außen geschwenkt werden, und somit ein freierer Stauraum (ohne störende Pfosten) und eine günstigere Belastung der Binderbalken entstehen. Innerhalb des Gesamtsystems besitzen diese Konstruktionen eine größere Quersteifigkeit als die „weicheren“ Leergespärre ohne Stuhlkonstruktion. Es werden hauptsächlich die horizontalen Windlasten über die Rähme in die steiferen Stuhlkonstruktionen abgeleitet. Aufgrund der konstruktiven Ausbildung der Leergespärre (Anschluss Sparren an Kehlbalken) spricht man nach wie vor von einem Kehlbalkendach. Bis etwa 1550 wurden Balken bei Erreichen der Tragfähigkeit ausschließlich durch Pfosten unterstützt. Stützen im Abstand von 4 – 6m wurden in Repräsentationsräumen in Kauf genommen. Die Baugesinnung der Renaissance duldete keine Zwischenabstützung und verlangte für schwere, geschnitzte Holzdecken freie Spannweiten bis zu 13m. Dazu kommt oft eine Nutzung des darüberliegenden Dachraumes als Speicher. Die schweren Dachlasten werden nicht nur gestützt sondern auch aufgehangen. Dies geschieht durch Hängewerke, die im Dachwerk integriert sind.

Die Vorläufer des Hängewerkes sind die Hängesäulen des gotischen Kehlbalkendaches. Im 16. Jahrhundert bestehen die Hängewerke aus platzraubenden sehr aufwendigen Konstruktionen. Die zugfeste Verbindung am Säulenfuß und die Verbindung der Überzüge bestehen anfänglich aus Verbindungen mit nachstellbaren Keilen. Die Verbindung mit dem liegenden Stuhl bietet sich vom statischen System an, da dieser durch seine schräge Stellung und den Spannriegeln als Sprengwerk wirkt und die Hängesäulen in den Eckpunkten als Einzellasten angreifen. Die Hänge- säulen sind meist mit den Spannriegeln und den Kehlbalken verkämmt. Aber auch diese Hängewerke haben aufgrund des Schlupfes nur eine eingeschränkte Wirkung. Die Architektur des Barock als des 17. Und 18. Jahrhunderts verlangte weitgespannte, räumlich gekrümmte, mit Gemälden versehene Decken. Diese Bauaufgabe wird vorwiegend durch Holzgewölbe, bestehend aus dünnen Bohlen mit Lattung und Putzträgern gelöst. Die Gewölbe hängen über Flacheisen oder Holzstäben am Dachgebälk, das durch Überzüge an dem im Binder integrierten Hängewerken aufgehängt ist.

Mehrfache Hängewerke dieser Zeit ermöglichen Spannweiten von bis zu 35m und mit ehrfachen Sprengwerken bis zu 50m. Diese Tragwerke bilden den letzten Höhepunkt des rein handwerklichen Holzbaus und lassen den Beginn einer neuen Ära, dem Ingenieurholzbau erkennen. Mit dem 19.Jahrhundert beginnt das Maschinenzeitalter. Die Bauaufgaben dieser Zeit sind wirtschaftlichen sowie geistigen Ursprunges. Wirtschaftlich in Form von Industrie- und Verkehrsanlagen, geistig durch Sichtbarmachung des technischen Fortschrittes. Für die Geschichte des Dachwerkes bedeutet dies die Vergrößerung von Spannweiten, vornehmlich bei Repräsentations- und Kulturbauten. Die Tragwerke des 19.Jahrhunderts entwickeln sich unter Verwendung immer wirkungsvollerer Eisenverbindungen bis zum Einsatz ganzer Zugstäbe. Durch die Kombination mehrerer Sprengwerke entstehen Tragwerke, die bereits den ingenieurmäßigen Fachwerkträger erahnen lassen. Der eigentliche Fachwerkträger entsteht um die Jahrhundertmitte und zwar in Eisen. Die Tragwerke des beginnenden 19.Jahrhunderts sind noch keine Ingenieurbauwerke nach heutiger Auffassung, denn sie entstanden ohne statischen Nachweis. Grundlage sind überlieferte Erfahrungswerte. Die Statik in unserem Sinne hat Navier (1826) bis Müller-Breslau (1886) entwickelt und wurde nur zögerlich angewandt, insbesondere bei Dachwerken. Baugeschichtlich gehört diese Epoche dem Klassizismus an. Das weitgespannte Pfettendach römischen Ursprunges dient unter Anwendung von verbesserten technischen Möglichkeiten vornehmlich als Dachwerk größerer Gebäude. Daneben entsteht eine Fülle neuer Bau-  und Dachformen, die aufgrund der sehr komplizierten Grundrisse und unterschiedlichen Traufhöhen, sich nur als Pfettendach herstellen lassen. Das Sparrendach kann diese Vielzahl nicht realisieren.

Ausblick

Hölzerne Dachkonstruktionen haben, wie hier in einem kurzen Überblick dargestellt, eine lange Tradition. Mit modernen Fertigungstechniken und innovativen Materialien sind holzbasierte Dachkonstruktionen auf dem Vormarsch und bieten noch bessere Leistung und Haltbarkeit. Hier sind einige mögliche Trends und Entwicklungen, auf die man in Zukunft achten sollte:

  1. Neue Holzwerkstoffe: Holzwerkstoffe wie Brettsperrholz (engl. Cross- Laminated Timber, kurz CLT) und Laminated Veneer Lumber (LVL) werden immer beliebter. Diese Materialien bestehen aus mehreren Schichten von Holzlamellen, die in verschiedenen Winkeln verleimt sind, um eine hohe Festigkeit und Stabilität zu erreichen. CLT und LVL ermöglichen es, sehr große Spannweiten zu realisieren, ohne daß weitere Abfangmaßnahmen erforderlich werden.
  2. Digitalisierung und Automatisierung: Die digitale Planung und Fertigung von Dachtragwerken gewinnt an Bedeutung. Mit Hilfe von Computersimulationen und Robotertechnik können Dachkonstruktionen sehr präzise und effizient geplant und hergestellt werden. Dadurch können auch komplexe Formen und Geometrien umgesetzt werden.
  3. Energieeffizienz: Gedämmte hölzerne Dachkonstruktionen bieten bereits eine hervorragende Wärmedämmung. Durch die Integration von Solaranlagen, Gründächern und anderen  energieeffizienten Technologien können diese noch umweltfreundlicher und nachhaltiger aufgebaut und gestaltet werden.
  4. Modulare Bauweise: Modulare Bauweisen sind auf dem Vormarsch und bieten auch für Dachkonstruktionen viele Vorteile. Vorgefertigte Module können schnell und einfach vor Ort  montiert werden, was Zeit und Kosten spart. Auch die Wiederverwendbarkeit von Modulen ist ein wichtiger Faktor für die Nachhaltigkeit.

Insgesamt ist absehbar, dass holzbasierte Dachkonstruktionen auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden. Mit neuen Materialien, Technologien und Bauweisen können sie noch leistungsfähiger und umweltfreundlicher gestaltet werden.

 

Quellen

Systembedingte Schäden an Dachwerken, Eine Darstellung historischer Dachkonstruktionen und ihrer Schwachpunkte. Deutsches Zentrum für Handwerk und Denkmalpflege, Propstei Johannesberg, Fulda 1996

Fachaufsatz Historische Dachtragwerke aus Holz, Bauingenieur Band 88, Februar 2013

Die Holzkonstruktionen, Nikol Verlagsgesellschaft, Franz Stade, Reprint nach dem Original 1904



Do NOT follow this link or you will be banned from the site!